Anthropologie und Ethnologie

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Ota Benga war ein Pygmäe aus dem Belgisch-Kongo, der von dem Forscher Samuel Verner „mit seinem Einverständnis“ 1904 zur Weltausstellung nach St. Louis gebracht wurde, um ihn dort auszustellen. Danach wurde er im Affenhaus des Bronx Zoo in New York zur Schau gestellt (1906), was in der schwarzen Gemeinde große Empörung auslöste, und auch schwere Bedenken bei manchen kirchlichen Würdenträgern, die befürchteten, dass die gläubige Gemeinde dies als Beweis für die Richtigkeit von Darwins Theorien sehen könnte. Ota Benga beging letztendlich Selbstmord. Dieses Bild, das wir hier vor uns haben, verweist auch auf ein paralleles Szenario aus der Geschichte Wiens. Dies sind nur einige der zahlreichen Beispiele für die Praxis, Menschen auszustellen (tot oder lebendig), die als andersartig und exotisch wahrgenommen werden sollten, auf jeden Fall aber als auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe stehend. Die Überschneidungen zwischen Wissenschaft und Populärkultur waren weitreichend. Ausgestopfte Zebras in musealen Umgebungen reflektieren nicht nur die Leidenschaft, Individuen als exemplarische Beispiele innerhalb taxonomischer Systeme zu sammeln, sondern lenken auch die Aufmerksamkeit auf die linguistische Affinität, zwischen Fotografie und Jagd. Eines aber ist rätselhaft. Während die Augen in den Selbstporträts (z.B. Out of Austria oder The Big Game) geöffnet sind, und auch die Tiere uns misstrauisch beobachten, sind die Augen der Frau hier geschlossen. Die Gelassenheit des Gesichts deutet kein Blinzeln an, der falsche Augenblick für eine Fotografie, vielmehr findet man hier eine sanfte, und dennoch entschiedene Verweigerung des Blicks. Da wir weder etwas über die Nationalität dieser Frau wissen, noch über ihre kulturelle Identität, höchstens etwas über ihre genetische Erbschaft, werden so unsere stereotypisierenden Mechanismen, unser Voyeurismus und auch unser eigener Blick an uns zurückverwiesen. Wir sind wahrhaftig und wirklich zu Hause, alleine mit all den Vorurteilen und Lasten westlicher Kulturgeschichte.

 

Auch Made for Europe, sowohl der Titel für die Werkgruppe wie auch für eine einzelne Arbeit, hat viel mit Stereotypisierung zu tun. Was wurde für Made for Europe tatsächlich hergestellt? Die Teppiche? Möglicherweise.

 

Aber angesichts der Tatsache, dass der Titel eine ganze Reihe von Arbeiten betrifft, scheint es unwahrscheinlich. Während wir die Fotografie und ihre Details ansehen, werden wir hier wie auch bei den anderen Arbeiten aufgefordert, uns selbst zu betrachten. Uns selbst - das heißt in diesem Fall in erster Linie weiße Männer und zweitens die anderen Vollmitglieder des westlichen Kulturklubs. Wir werden aufgefordert, unser Gender und unseren kulturellen Hintergrund kritisch zu betrachten, und das Ausmaß, in dem es den Standpunkt unserer Wahrnehmung definiert.

Doch was man uns mit dieser Fotografie wirklich verkauft, scheinen eher Assoziationen zu sein: von Luxus, orientalischer Opulenz und der unterschwelligen Erotik von Haremsfantasien. Dieses Bild ist getränkt mit kulturspezifischen Bedeutungen: Träumereien, akademisch oder nicht, auf jeden Fall aber männlich, über Jahrhunderte hinweg konstruiert und auf das Intimste verbunden mit der Ausübung patriarchaler Macht. Darstellungen von Frauen aus anderen Kulturen sind es oft sehr sensibel gegenüber subtilen, leicht zu machenden Veränderungen (zumindest für die Dauer des fotografischen Prozesses), so dass sie eine Art von Erotik und Verfügbarkeit der Frauen widerspiegeln, die in der kolonisierenden Kultur nicht so leicht zugänglich war. Tausende von entblößten weiblichen Körpern, als anthropologische oder ethnologische Objekte oder als künstlerisch wertvoll ausgegeben, sehr oft mit abwertenden Bildunterschriften und mit Untertönen von Doppelmoral und häufig mit offener kultureller Gewalttätigkeit. Hier, in dieser Fotografie, ist die Botschaft subtiler, dem Erotischen näher als der Pornographie. Wieder ist der unerwiderten Blick ambivalent.