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Camouflage und Tarnung, die Titel zweier weiterer Werke, sind schließlich die deutlichsten Verweise auf die mittlerweile
auch von moderner Kriegstechnologie besetzten ambivalenten Begriffe von Schrift und Bild.
Oft wird das Sechs-Punke-System der Braille-Schrift in Sharps Bildern visuell akzentuiert, etwa in Heavy Snow, wo mächtige
Knöpfe weiß bemalter Baumwolle wie ein Gerüst stützen. Die Leinwand fungiert hier als Haut, in die sich ein Gegenstand einprägt.
Manchmal ist die Schrift jedoch bloß ertastbar: Das Sichtbare in Form etwa von Farbspritzern und das Sagbare als haptisch erfassbare Oberfläche
bilden dort deutlich zwei voneinander unabhängige Wahrnehmungssysteme. Das Unsichtbare jedenfalls, soviel wird klar, ist mehr als das bloß dem
Auge Verborgene. Zu den logisch nicht vereinbaren Schichten des Unsichtbaren zählt Maurice
Merlau-Ponty neben dem Sagbaren und dem aktuell nicht Sichtbaren auch das Taktile oder Kinästhetische. Was
Blinde erfühlen und ertasten, das entgeht den Betrachtenden, selbst wenn sie der Braille-Schrift mächtig sind: Bilder wie Invisible Message und Unsichtbare
Botschaft nehmen das Auge durch ihre optische Streuung (Schellack-Farben auf Baumwolle) gefangen und lassen die Punkte der Braille-Buchstaben selbst
bei genauer Betrachtung nicht erahnen. Diese Bilder eröffnen also erst durch eine zweite, andere Form des „Blicks“ ihre „unsichtbare“, doch sagbare
Botschaft. |
Die in den Bildern präsente Braille-Schrift, im übrigen die Erfindung eines blinden Organisten,
beruht bezeichnenderweise auf einem den Lochkarten verwandten binären System von hervortretenden Punkten. Sie ist teilweise - für Kundige -
auch mit dem Auge lesbar, wird jedoch vielfach in eine Art Geheimcode verwandelt, in eine nur haptisch differenzierbare Chiffre. Einige der Bilder verweisen
im Titel oder in der Darstellungsform mehr oder weniger explizit auf diesen Zusammenhang: Sinn, Unsinn, Botschaft etwa sind Schlüsselbegriffe
des Prinzips von Geheimschriften; das in Weißtönen gehaltene auf ersten Blick unregelmäßige Bild Schneeblind ist
mehr als die schematische Darstellung eines spezifischen Verlustes der Sehkraft. Die scheinbar chaotische Ansammlung von Knöpfen unterschiedlicher
Helligkeit und Größe kann auch mit einem Wortbild wie „weißes Rauschen“ assoziiert werden, mit einem Störsignal, das Geheimdienste
verwenden, um Binäroppositionen überzucodieren. |