Bilder? Nein, Bilder haben mich nie wirklich interessiert. Auch dann nicht, wenn wohlmeinende Mitmenschen mir vorschlugen Malereien
für mich zu beschreiben. „Vergesst es Leute. einem blinden Menschen ein Bild zu erklären, hätte den gleichen Wert, wie jemand Tauben klassische
Musik näher bringen zu wollen.“
Ich habe meine eigenen Bilder im Kopf. Bilder, die nichts mit Farben, oder optischen Reizen zu tun haben, denn diese Dinge sind fremd
für mich. Ich kannte sie nie, und werde sie nie vermissen. Meine Bilder kann ich hören. Ich kann sie denken, oder meine Fingerspitzen können
sie fühlen. Fühlen, oder eben lesen. Meine Schrift ist Braille. Ein Sechs Punkte System, so wie bei einem Würfel. Diese Punkte, immer
anders kombiniert, ergeben das A, das B und auch all deren Kollegen. Jeder gelesene Satz ist ein mehr oder weniger ausdrucksstarkes Bild. Sein Inhalt
ergibt sich aus Worten. Es folgen Gedanken und Assoziationen. Ja, so ist das beim Lesen. Was aber, wenn einem dieser Vorgang erschwert wird, weil da
plötzlich ein fühlbares Bild ist? Die verschiedensten Materialien laden die Finger ihrer "Betrachter" zum neugierigen Erkennungsspiel. Ich
bin leicht verwirrt, suche einen Inhalt und dann finde ich sie, meine Brailleschrift. Leicht war das bei keinem Bild, weder die Schrift zu finden, noch
sie zu entziffern. Die Punkte haben ihre übliche Größe nicht mehr, und alle fühlen sich anders an. Auf oft sehr verspielte Weise
kokettieren Materialien mit der Blindenschrift, und ergeben dadurch den für den blinden Menschen fühlbaren Bildinhalt. Doch natürlich
gibt es nicht Inhalt nur für ihn. |
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Unsichtbare Botschaft. Diesen Bildtitel konnte ich lesen. Das heißt, die Botschaft ist nur fühlbar, denn für sehende
Menschen ist sie nicht zu erkennen. Dann fühlten meine Finger unzählige Nägel. Krumme, gerade, einfach die verschiedensten. Es dauerte
mächtig lange, bis ich die Nägel entziffern konnte, bis ich die Wörter den „Nagel auf den Kopf“ getroffen habe.
Heavy Snow. Diese Wörter standen da. Irgendwie war es plötzlich zwischen lauter weichen Kissen. Bevor ich die Wörter
entdeckt hatte, hielt ich, was ich fühlte, für eine Couch. Durch das „Schneebild“ blieb diese wohl weich, wurde jedoch schlagartig eiskalt,
und ich bin sicher, hätte ich meine Hand noch etwas länger darauf liegen lassen, die Kissen wären bestimmt geschmolzen.
Was blinde Menschen bei der Ausstellung berühren, schauen sehende Menschen an, und der Schlüssel zu jedem Bild liegt im ergänzenden
Dialog. Zwei Welten brauchen einander, um sich zu ergänzen. Nur auf diese Art machen Bildbeschreibungen Sinn.
Constanze Hill |