Orientalismus ist ein Kunststil und ein geistiges Gefängnis. Dazu gehört auch die orientalistische Schule der Malerei, der
man allgemein ab den 1830er Jahren Bedeutung zuspricht und die, obwohl sie bis in die 1920er weiterhin Einfluss ausübte, bereits in der ersten Dekade
des 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreicht hatte. Die Orientalisten kamen
aus beinahe allen europäischen Ländern, aus Österreich (Müller), Belgien (Huysmans), Deutschland (Haag), Neapel (Flandin) Schottland
(Melville), Italien (Pasini), aber vor allem von den beiden Kolonialmächten Frankreich (Delacroix, Vernet, Vernet-Lecompte, Gérôme,
Regnault, Girard) und England (Wild, Lear, Kelly, Lewis). Sie vertraten unterschiedliche Malstile und hatten unterschiedliche Ziele. Einige versuchten
das exotische Andere und die Farben einzufangen, andere Trachten, Bräuche und Architektur möglichst getreu zu reproduzieren und einige wollten,
parallel zur Entwicklungen im Bereich der Fotografie im In- und Ausland, die Schattenseiten des Lebens porträtieren - die Armen, die Lahmen, die
Blinden, die Bettler, die Mumienverkäufer. Aber auch Wüstenszenen mit Kamelkadavern. Maler wie Ingres wurden auch von diesem Trend beeinflusst,
obwohl sie den Orient nie selbst besucht hatten. Und darin zeigt sich eine weitere Facette des Orientalismus, eine ihm zugrunde liegende Konfiguration
von Überzeugungen und Ansichten, die für die Beziehung des Westens zum Osten zentral sind. |
|
In
der westlichen Vorstellung gab es immer die Tendenz, bestimmte Eigenschaften zu entdecken, die der Westen im Osten einfach entdecken wollte, den mysteriösen
Orient. Manchmal führten diese Konstruktionen zu künstlerischen Arbeiten, die, obwohl im Stil „realistisch“, in hohem Grad Produkte der Wunscherfüllung
und der Phantasie waren, auf essentielle Weise sichtbare Manifestationen der Vorstellungen von opulenter Barbarei, sinnlicher Unergründlichkeit und
sexueller Freiheit - mit einer Prise Sklaverei. Das Exotische und das Erotische. Das Wilde und Sinnliche. In diesem Kontext finden wir den Samen (oder
die Blüten) der Haremphantasien, der Femme fatale, des hinterlistigen Beduinen, des gnadenlosen Despoten und so weiter. Regnault’s Hinrichtung
während der Maurischen Herrschaft in Granada (1870) mit seinem geköpften Leichnam auf den Palaststufen, dem Scharfrichter, der ruhig sein
Schwert an seinem orangefarbenen Gewand reinigt, während die mathematische Opulenz der reich verzierten Architektur im Hintergrund leuchtet, und
im Gegensatz dazu Gérômes Der Narghile Anzünder, das weniger mit der Wasserpfeife als mit den fünf nackten badenden Frauen
zu tun hat. |