Wirkliche Menschen erzählen in einer Vielzahl von Sprachen wahre Geschichten und, um mit Bob Dylan zu sprechen: „Irgendetwas passiert,
aber du weißt nicht was es ist“. Es scheint, als habe sich ein Teil der Töne einseitig für unabhängig erklärt. Was
aber nicht stimmt, die Töne bilden vielmehr einen Vorhang, der an vielen Punkten auf dem Leinwandgeschehen zu liegen kommt. |
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Relevant ist vor allem die Einführung, in der es unter anderem heißt: „Meine hochverehrte Königin, wann immer ich über
die Schätze der Vergangenheit, wie sie sich in der Sprache erhalten haben, nachsinne, so komme ich zu demselben Schluss: stets war die Sprache
die Partnerin des Reiches, und soll auch immer dessen Begleiterin bleiben. Gemeinsam erblicken sie das Licht der Welt, gemeinsam wachsen und gedeihen
sie, gemeinsam gehen sie zugrunde.“ Und an anderer Stelle: „Unsere Sprache folgte unseren Soldaten, die wir aussandten, um zu herrschen“. Folgen
hatte die Grammatik aber auch in Spanien selbst. Wer schreiben gelernt hatte, brauchte jetzt einen Lehrer, um richtig zu schreiben; die Dialekte und
lokalen Identitäten wurden abgewertet. Aber all das liegt viel zu weit zurück, um noch Erinnerungen in uns wachzurufen.
So werden denn in déjà vu elf Sprachen gesprochen. Jede reflektiert eine bestimmte Denkweise und die kulturellen
Vorurteile ihrer SprecherInnen. Historisch gesehen stellen einige dieser Sprachen (Englisch, Französisch, Deutsch, Portugiesisch) wichtige Exportgüter
dar, die voll missionarischem Eifer der Machtausübung, der Steigerung wirtschaftlicher Effizienz und der Behauptung kultureller Überlegenheit
das Wort redeten. Auch in der heutigen postkolonialen Ära sind uns die Hierarchien, welche die Sprache etabliert, erst halb zu Bewußtsein
gekommen. Sprache ist nicht einfach nur ein Mittel der Kommunikation, sie ist auch imstande, kulturelle Flüchtlinge zu produzieren - Menschen, die
zwar in „ihrem“ Land leben, deren Muttersprache aber herabgewürdigt oder aktiv unterdrückt wird. Das aktuellste Beispiel sind die Kurden. Als
Folge dieser Abwertung wird ein ganzes Volk ins linguistische Niemandsland verbannt, wo es nicht mehr in der Lage ist, seinen Widerstand zu artikulieren,
was wiederum als Zeichen der Überlegenheit der Kolonialmacht gedeutet wird. Erzwungenes Schweigen läßt sich bequem als Zustimmung oder
gar Dummheit interpretieren. Der pater familias spricht dann für das Volk und sorgt innerhalb der „Familie“ für die nötige Disziplin.
Der einzige Ausweg ist Gegengewalt. |
Als eine der Folgen von eurozentrischer Expansion und Kolonialismus tragen Orte Namen, die ihnen im Geist
der Kultur der Einwanderer gegeben wurden. New South Wales, Nova Scotia (Neuschottland) oder sogar New York. Heimweh klingt hier an, Rebellion und Wille
zum Neubeginn, aber auch der Wunsch nach kultureller Kontinuität. Bei der Benennung wurde das Land als tabula rasa behandelt. Und benennen ist besitzen.
Blättert man in einem Atlas und stößt auf Neufundland, dann ist man immer versucht nach dem Schicksal derer zu fragen, die es verloren
haben. Von noch größerer Tragweite ist der Akt der Benennung für die Völker, die in den „neu entdeckten“ Ländern leben. Wie
Wilfred Thesiger schreibt: „Wir nannten sie in der Regel so, sie
selbst aber nannten sich anders.“ Aus den Lakota wurden die Sioux, den Inuit die Eskimos und den Afars die Danakil. Die Identität wird angegriffen.
Der Kern der Sache ist Macht. |
Ivan Illich hat in seinen Schriften den Wert
lokaler Traditionen herausgestellt. Seine Aufmerksamkeit gilt in diesem Zusammenhang auch der Sprache, die, wie er schreibt, nicht das gleiche
ist wie die Rede (oral culture). Er verweist auf Elio Antonio de Nebrija, der die erste spanische Grammatik - "die erste überhaupt in einer modernen
europäischen Sprache"- herausgab. Zunächst klingt das nach einem verdienstvollen Unterfangen. Seine Bedeutung reicht aber weiter als das
es, obwohl nur fünfzehn Tage nach Kolumbus’ Einschiffung erschienen, bereits den ersten Amerikanismus verzeichnet (canoa - Kanu). |