Kuhns Analyse läßt sich auch auf die Rolle des Künstlers und die kulturellen Werte einer Gesellschaft übertragen:
man wird für das Offensichtliche blind, das aber dennoch unsere Weltsicht bestimmt. In déjà vu scheint die Prozession offensichtlich
exotischer Bilder so abzulaufen, dass ein Paradigmenwechsel stattfinden kann. Dazu nimmt der Film aber nicht die Filmamateure aufs Korn, sondern destilliert
aus ihren kinematografischen Tagebüchern die Essenz. Deutlich wird das allerdings erst in dem Moment, wo wir uns über das Verhältnis von
Ton und Bild klarwerden. Ein altes chinesisches Sprichwort besagt: „Die Kunst des Bildermachens besteht darin, das Sichtbare und das Unsichtbare zu verbinden,
und manchmal auch das Sagbare und das Unsagbare“. déjà vu ist Ergebnis eines Experiments, das alle vier verknüpft.
Zu Beginn des Films arbeiten die Geräusche Hand in Hand mit den Bildern, sie unterstreichen deren dokumentarischen Charakter und
fügen sich dem quasi-narrativen Fluss. Man sollte aber im Hinterkopf behalten, dass wir es hier mit kinematografischem Ton zu tun haben - mit Annäherungen
oder schlichten Täuschungen, die allerdings den Anschein von Authentizität wecken. Geräuschmanipulationen und Taschenspielertricks (das ‚alle
großen Schiffe müssen im Hafen einmal tuten‘ - Syndrom), die wir alle gern für bare Münze nehmen. Aber lange währt dieser
Flirt nicht. Bei vielen Gelegenheiten bricht etwas durch, dass an finstere Ironie grenzt. Dazu zwei Beispiele. Die Aufnahme von der Reling eines Schiffes,
das gerade südliche Gewässer durchpflügt. Dazu erklingt von der Tonspur Choralmusik, deren emotionale Kraft erschauern macht. Sie ist
einerseits „Filmmusik“, erfüllt aber auch eine narrative Funktion und übermittelt wichtige Informationen.
Vielfältig sind die Assoziationen. Große Schiffe kreuzen diese Gewässer nun schon mehrere hundert Jahre, sie trugen
Columbus, Cortéz und Cook, sie trugen stets das Wort der Missionare und häufig genug Gewehre zur Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.
Ist es Zufall, dass der Schatten des Schiffes auf dem Wasser an die Burgzinnen erinnert, die wir als Kinder zeichnen? |
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Die zweite Einstellungsfolge zeigt Dockanlagen und afrikanische Hafenarbeiter beim Verladen von Bananen (harte Arbeit, wenn man sie
denn bekommt). Von der Tonspur erklingt dazu ein Arbeitslied, aufgenommen in einem amerikanischen Gefängnis. Es handelt sich, nicht weiter überraschend,
um ein afroamerikanisches Lied.
Diese Entsprechungen treten so häufig auf, dass ihre Bedeutung außer Frage steht. Mit Blick auf den übrigen Ton dienen
sie als Rettungsringe, die man zum eigenen Schaden ignoriert, weil auf der zweiten Ebene starke Unterströmungen herrschen. |