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„Im Reich der Blinden ist der Einäugige ein Außenseiter.“

Als Künstler leitete mich mein Interesse an der Beziehung zwischen Worten und Bildern auf der Suche nach einer „Sprache“, die sich in ein Gemälde einbauen lässt, ohne es mit Bedeutung zu überfrachten und ohne eine Sprachgruppe zu privilegieren. Diese Suche führte mich zu Braille, einem Code, der auf viele Sprachen angewendet werden kann (und wird), um sie für Blinde oder Sehbehinderte verfügbar zu machen.

 

Diejenigen, denen die Sehkraft fehlt, interpretieren also Töne in all ihren unterschiedlichen Aspekten - Lautstärke, Richtung, Entfernung, Echos von Gebäuden, der Effekt von (offenen oder geschlossenen) Türen und Fenstern als Trichter und Schalloch -, und das alles mit einem Präzisionsgrad und einer detaillierten informatorischen Auswertung, die bemerkenswert sind und manchmal an vorheriges Wissen zu grenzen scheinen. Auch der Tastsinn spielt eine verstärkte Rolle, nicht nur im direkten Kontakt zwischen der Hand und der Oberfläche, Stock und Boden, sondern auch indirekt, Luftzüge, die große und kleine Objekte umfließen, werden interpretiert, und man gewinnt wertvolle Information für die Navigation aus Temperaturunterschieden spürbar auf dem Gesicht. Im Gehirn selbst werden die Bereiche, die normalerweise für das Sehen reserviert sind, zumindest teilweise dem Empfang und der Verarbeitung von sinnlicher Information aus nicht-visuellen Quellen neu zugeteilt. Und das erinnert uns an einen entscheidenden Punkt, wie Oliver Sachs betont: „Man sieht oder fühlt oder nimmt nicht isoliert wahr - Wahrnehmung ist immer mit dem Verhalten und der Bewegung verbunden, damit, die Hand auszustrecken und die Welt zu erforschen. Nur zu sehen ist unzureichend; man muss auch hinschauen.“ Er betont das Lernen und die Aufmerksamkeit. Unser visueller Lernprozess findet von Geburt an statt und wird daher nicht bewusst erlebt. Obwohl wir uns also vielleicht vorstellen können, wie es wäre blind zu sein, können wir uns nicht vorstellen welche Probleme damit verbunden sind, wenn eine blinde Person zu einer sehenden wird. Wir können uns die Verstandesleistung von Nicholas Saunderson, einem Anhänger Newtons aus dem 18. Jahrhundert, vorstellen der, obwohl von Geburt an blind, nicht nur die theoretische Optik gut genug verstand um Vorlesungen zum Thema zu halten, sondern auch ein berühmter Mathematiker war. Aber vielleicht verzeiht man uns, dass uns nicht bewusst ist, dass das perspektivische Sehen, die Beurteilung von Distanzen und ähnlichem ein Produkt des Lernens ist. Eine visuelle Unterscheidung zwischen einem Hund und einer Katze zu treffen, wenn man sie nur durch Berührung und Geräusche kennt, ist zumindest anfänglich eine enorme Lernleistung.

In einer Gesellschaft, die das Visuelle so sehr bevorzugt und daran gewöhnt ist, Bilder durch Worte (Untertitel oder Voice-Over), Ton und Musik zu schattieren, verändern, interpretieren und sogar zu pervertieren, erscheint jedes andere System von Prioritäten von Wahrnehmungsvermögen, das dieser Zentralität des Visuellen (mit den anderen Sinnen als Modifikatoren) weniger Gewicht gibt, abwegig und schwer vorstellbar. Nach weiteren Recherchen sowohl in Bezug auf die Text- Bild Beziehung (der Vermittlung von Bedeutung) und der visuellen Wahrnehmung (der Interpretation sensorischer Daten), war ich überrascht herauszufinden, dass das Gehirn bei der Konstruktion eines Wahrnehmungssystems nicht differenziert, woher es die Information erhält oder welcher Sinn sie liefert; dass es möglich ist, durch die Aufmerksamkeit, die man Signalen gibt, auch ohne Licht ein reichhaltiges Wahrnehmungssystem zu konstruieren.