Reisepässe und lebensrettende Dokumente gleiten wie Spielgeld durch die Hände skrupelloser Drahtzieher und korrumpierter Grenzbeamter,
Menschen werden wie Schachfiguren verschoben. Undurchsichtige Wolken dringen nicht nur aus Dampflokomotiven und Flugzeugen, Rauchschwaden umnebeln auch
die Nasen derer, denen das angstvolle Warten der Transitreisenden zum Geschäft und zum Spiel wird. Dar-el-Beida verdichtet den bedrohlichen
Zugriff einer allgegenwartigen Macht, die den Flüchtlingen auf Bahnhofen, in Wartehallen, auf Polizeistationen, Botschaften und Ämtern ständig
auflauert.
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Tim Sharp stellt in einer knappen, doch insistierenden Bearbeitung des Bild- und Tonmaterials aus Curtiz’ Casablanca figurative
und akustische Reihen her, in denen das Unbehagen als Subtext der filmischen Erzählung regiert. Die repetitive Gestaltung und stellenweise Dissoziation
von Ton und Bild führt kinematogtaphische Figuren der Ohnmacht vor Augen, deren Schlüssel das Hinhören und Gesehen-Werden ist.
Christa Blümlinger |
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Während Casablanca sich mit Männermacht und Männerfreundschaft, propagandistischer
Moral und Abenteuer beschäftigt, geht es in Dar-el-Beida um die Gefühle der Flüchtlinge/Aussenseiter, die den Hintergrund des
Hollywoodfilms bevölkern. Um jene, die in einer Atmosphäre der Bedrohung leben, die immer unterwegs sind, aber nirgendwo ankommen, deren Identität
beschnitten oder deren Nationalität willkürlich verändert wurde, mit einem Wort, um die Machtlosen, die vom Zufall, Korruption oder sexuellen
Gefälligkeiten abhängig sind. In Dar-el-Beida (so der latinisierte arabische Name fur Casablanca) fragt Bogie, „Wollen Sie meinen
Rat?“ Seine zynische Antwort (in Casablanca) ist die unausgesprochene Realitat von Dar-el-Beida. |