Sich ein Bild von der Realität machen

EXIT

 

Heute hat er den Ziggurat zum elften Mal besucht. ,Das stellt Luxor in den Schatten‘ sagte er lächelnd und meinte Las Vegas und nicht den Oberlauf des Nil.

 

Tatsächliche Ereignisse werden zur besseren Bildausbeute inszeniert und in Performances verwandelt, egal ob es sich um das Zusammentreffen mit Präsidenten handelt, um eine so genannte Reality TV-Show (dramaturgisch im selben Ausmaß strukturiert wie ein Theaterstück) oder um alltägliche Details ganz normaler Menschen, die über das Web verbreitet werden. Die Tendenz, Realität und Fiktion zu verschmelzen, trifft allerdings auf dieselbe Bewegung aus entgegengesetzter Richtung. Doku-Dramas, bei denen man Leuten nachsehen kann, dass sie nicht zwischen Realität und Fiktion, historischer Genauigkeit und politischem Mythos unterscheiden können, gibt es im Überfluss. In vielen Fällen verwendet man Fotos aus Spielfilmen um Zeitungsartikel oder historische Themen zu illustrieren, in der Annahme, dass das zum unmittelbaren visuellen Interesse mit einem hohen Wiedererkennungswert beiträgt - nur wenige Menschen würden ein Foto von T. E. Lawrence erkennen, viele mehr würden Peter O’Toole als Lawrence von Arabien erkennen. Die Macht dieser Verschmelzung von Fakt und Fiktion, Bild und Realität sollte man nicht unterschätzen. Nachdem er sein Ticket an dem schicksalhaften 11. September gebucht hatte (aber bevor die Ereignisse tatsächlich stattfanden) kam Neil Godfrey einen Monat später am Internationalen Flughafen in Philadelphia an, um seinen Flug zu erreichen.

 

„Als er durch den Metalldetektor ging, runzelte ein Sicherheitsbeamte die Stirn wegen Godfreys Lektüreauswahl als sie über das Fließband lief. Auf dem Titelblatt des Buches „Hayduke Lives“ von Edward Abbey war eine Illustration eines Mannes, der mehrere Stangen Dynamit hält - er ging durch die Sicherheitskontrolle und setzte sich in der Nähe seiner Boarding Gate hin, um zu lesen. Ungefähr 10 Minuten später trat ein Vertreter der National Guard an Godfrey heran. ‚Er befahl mir zur Seite zu treten‘, erzählt Godfrey.

 

,Dann nahm er mein Buch und fragte mich, warum ich es lese. Innerhalb von Minuten‘, sagt Godfrey, ‚kamen zu diesem Mann von der National Guard auch PolizistInnen aus Philadelphia, State Trooper aus Pennsylvania und SicherheitsbeamtInnen des Flughafens dazu‘.“


Man teilte ihm mit, dass er nicht fliegen könne und er wurde gebeten, den Flughafen zu verlassen. Als er am nächsten Tag fliegen wollte, wurde ihm das wieder verweigert. Später informierte man ihn, der Grund dafür sei gewesen, dass er einen Witz über Bomben gemacht habe (was er abstritt), und das wäre ein Delikt gewesen, wofür man auf der Stelle verhaftet werden konnte.

 

Mit der Einführung von Photoshop, digitalen Kameras, Video und Mobiltelefonen mit Webkameras brach eine neue Ära der Produktion und Rezeption von Bildern an. Wir sind in die Epoche der „Post-Fotografie“ eingetreten, um einen von Mitchell geprägten Begriff zu verwenden, und mit dieser Technologie der Bildmanipulation, die den meisten Menschen im Westen zugänglich ist, können wir nicht mehr verlässlich zwischen Original und Kopie, der Realität oder einer inszenierten oder gar simulierten Version dieser Realität unterscheiden. Ebenso wenig können wir uns der Intentionen der ProduzentInnen oder der BenutzerInnen dieser Bilder sicher sein. Rund um das moralische Desaster von Abu Ghraib entwickelte sich eine Situation, die illustriert was ich meine. Es gab Fotografien, die unbestreitbar echte Misshandlungen der Gefangenen abbildeten.