u.a. Angelo Soliman i.R.

EXIT

 

[...] Ich möchte nicht allzu negativ klingen, doch es gibt etwas an u.a. Angelo Soliman i.R., das ein wenig erschreckend ist. Eine Art von Schrecken, wie sie auch eine Totenmaske an sich hat - oder die unheimliche Atmosphäre beim Vergrößern eines Positivs. Es ist verwirrend, den Abzug als fotografisches Negativ zu lesen, während man doch die visuelle Information erhält, dass die Gesichter ihre richtige Farbe haben. Der Eindruck wird noch weiter durch den Umstand verstärkt, dass die europäischen Köpfe am linken unteren Bildrand sich schon ins Weiß bewegen.

Während Meet me in St. Louis, Louis sich auf vielfältige Weise auf Aspekte der Geschichte der Sammelleidenschaft bezieht, sowohl von menschlichen wie auch tierischen Exotika, ob echt oder fotografisch, lebendig oder tot - und während in Congo Blues ein Nachhall der Geschichte kultureller Aneignung, kolonialer Unterdrückung und Brutalität zu finden ist, kann man u.a. Angelo Soliman i.R. als fotografische Umkehrung der historischen Repräsentation des Anderen lesen. Die Fotografie gibt, unter anderem, jenem im Titel genannten Soliman (Untere Reihe, 2. von rechts) seine Farbe wieder. Die meisten anderen sind namenlos, und man weiß nichts über ihre Geschichte, sie sind einfach Exemplare, die in der Gall-Sammlung auf geradezu groteske Weise überrepräsentiert sind. Wenn man die Sammlung als Ganzes betrachtet, könnte man fast annehmen, dass die Bevölkerung Europas im 18. Jahrhundert zu 25% nicht-europäisch gewesen sein muss. Während es natürlich stimmt, dass die Wissenschaft (und im Besonderen die Medizin) sich für das Abnorme und Pathologische interessiert, um die Parameter der Normalität bestimmen zu können, ist es aber auch klar, dass solche Kollektionen selbst pathologisch sind in ihrer Suche nach „exotischen Exemplaren“. So scheint es nur „natürlich“ zu sein, dass Soliman sowohl Teil der Sammlung wie auch der Fotografie ist.

 

Er repräsentiert einen extremen, aber nicht ungewöhnlichen Stand der Dinge. Nachdem er versklavt und nach Europa transportiert wurde, konvertierte er zum Christentum, heiratete, und erlangte entgegen jeder Wahrscheinlichkeit eine sehr hohe Position bei Hofe. Nach seinem Tode wurde ihm die Haut buchstäblich über die Ohren gezogen, und auf einen hölzernen Rahmen gespannt. So wurde er gemeinsam mit anderen ausgestellt - unter diesen ein ehemaliger Gärtner - unbekleidet und so ausstaffiert, in Übereinstimmung mit der europäischen Vorstellung eines „Wilden". Kaiser Franz II muss überaus heftig an seiner Neuerwerbung gehangen haben, denn er ignorierte und blockierte wiederholte Bitten und Anfragen von Solimans Tochter (sogar eine, die ein Bischof unterstützte), ihrem Vater doch ein christliches Begräbnis zu gewähren.

Die Fotografie ist schwarzweiß, ein schwarzweißer Abzug. Dieser gibt den Afrikanern, die mit weißem Gips maskiert wurden, ihre Hautfarbe wieder und setzt eine Metapher fotografischer Prozesse und Repräsentationen in der Bluse, einem modernen Fotodruck, fort. Die Fotografie verbindet kulturelle Wahrnehmungen des 18. und des 21. Jahrhunderts. Es ist wie ein National Geographic - Kleidungsstück, das die exotischen Anderen darstellt. Sie kommen aus allen Ecken und Enden der Welt, aus vielen Kulturen mit Ausnahme jener, die die Kleider entwirft und produziert. Das gestaffelte Schachbrettmuster entspricht dem bekannten Spiel des Exotizismus - um miteinbezogen zu werden, darf man nicht weiß sein, und darüber hinaus ist man am Besten bemalt, dekoriert oder tätowiert. Mit einem Wort, sonderbar fremdländisch. Vielleicht handelt die Arbeit schlussendlich von der schwarzen Magie fotografischer Repräsentation.


2000